Hofgarten/Fliegen (Vor und nach der Zeit der Arbeit)


   

Die Hofgarten-Zeichnungen von Eva Lammers haben einen konkreten Bezug: den Münchner Hofgarten zwischen Odeonsplatz, Residenz und Staatskanzlei. Er ist im frühen 17. Jahrhundert entstanden, ein Raum historischer Repräsentation. Seine Symmetrie und geordnete Schönheit symbolisierten für seine Schöpfer die gute Ordnung des Staats, die Kultivierung der wilden Natur; und er war zugleich ein wichtiger Raum des Hofzeremoniells, der Selbstdarstellung der ständischen Gesellschaft. Er diente nicht, wie heute, als Raum für Freizeit und Erholung von der Arbeit: Diese Gegensätze existierten noch nicht. Für die höfische Gesellschaft war Arbeit kein Wert, weil Herkommen und Stand alles bedeuteten.

Heute sind diese Bedeutungen verschwunden, weltenfern. Die Formen des Renaissancegartens sind schöne, aber leere Ornamente. Sie darzustellen, diesen Raum in der Zeichnung anzueignen, ist darum ein komplexer Vorgang. Der Raum ist nicht einfach abzubilden; er ist zugleich schön und fremd, seine Schönheit ist Fremdheit. Dazu kommt das Medium: Wenn das Tafelbild traditionell den Raum des Sichtbaren in Fläche projiziert, so scheint die Zeichnung Flächen nochmals in Linien, Punkte, Perspektiven und Schraffuren zu verwandeln und aufzulösen. Die Zeichnungen von Eva Lammers schaffen weniger Bilder des Hofgartens selbst als ein Inventar von Miniaturen, von immer weiter variierten Skizzen, um die Möglichkeiten einer subjektiven Annäherung an diesen Raum der Repräsentation zu erkunden.

 

Dabei stehen verschiedene zeichnerische Verfahren nebeneinander, manchmal auf demselben Blatt; manche Elemente kehren immer wieder – Schlangenlinien, torartige Durchgänge, die Fontänen eines Brunnens, schräge Perspektiven auf einen halbhoch umschlossenen Raum; klein fast verhalten erscheinen sie im Raum des Zeichenblattes. Und ein Element findet sich in manchen der Räume, beginnt aber ein Eigenleben zu führen: eine Art Schleife, eine mit einem einzigen Zug des Stifts gebildete Figur, die einer Fliege ähnelt und manchmal allein, manchmal förmlich geballt oder als Schwarm auftritt.

Viele Assoziationen sind damit zu verbinden: Schmetterlinge, Mückenschwärme und Bienengesumm an einem Sommertag im Hofgarten zum Beispiel, doch auch das Binden eines Krawattenknotens oder einer Fliege, oder die gezeichnete Anleitung dazu. Die Fliegenfigur reflektiert aber auch das Zeichnen selbst – die Bewegung der Hand, die einen Strich hinterläßt und damit auf dem Papier eine Form schafft. Sie ist eine Spur im Raum, wie die weißen Rauchfahnen der Kunstflieger, die bei Flugtagen loopings drehen und so ihre Schleifen in den Himmel schreiben. Sie sind flüchtige Spuren des Übermuts oder des Unnützen, vielleicht aus einer kommenden Zeit nach der Arbeit.

Michael Ott

 

     

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